Samstag, 8. Februar 2014

BDSM ist Arbeit – Über Wünsche, Abstraktion und den Weg zum Glück

Heute ein etwas alternativer Blog. Meine Sub in Ausbildung – Asubi – brachte etwas auf einem Punkt, was bei mir eine Reihe der Gedanken im Gang brachte. Es ging im Wesentlichen um Themen wie Wünsche, die Berechtigung derselben sowie die dahinter liegende Wirklichkeit. Viele Männer wollen lediglich eine Sub, aber nicht unbedingt die dazugehörenden Kinder, die oft traumatischen Erfahrungen der Vergangenheit und die dadurch entstandenen Baustellen. Sie wollen den Traum einer Dienerin aus einer heilen Welt.

Grundsätzlich sollte klar sein, dass alles was ich hier schreibe, unter dem Dach der klassischen Meister-Asubi Rolle gesehen werden sollte. Dies macht einen freundschaftlichen Umgang nicht hohl oder weniger, noch schmälert es die Gefühle die wir empfinden wenn wir spielen; sie sind weder 'belastet' noch unpassend, im Gegenteil. Die Meister-Asubi Beziehung sieht genau solche Freiräume vor, denn die Vermittlung von Werten, Erfahrungen und Wissen ist ein wesentlicher Teil eines gesunden BDSM-Verhältnisses.

So gesehen ist die o.g. Erwartung vieler Männer nach einer ‚O. ohne Restposten (Altlasten)’ zutiefst schief (schräg), denn bevor man einen Menschen nach seiner Vorstellung umformen kann – z.B. in einer 24/7 Meister-Sklaven Beziehung - sollte man das Ausgangsmaterial gut kennen. In diesem Sinne betrachte ich mein Dominion bzw. dessen Leitprinzipien notwendigerweise als eine Darbietung einer Lernumgebung, wo nicht nur SM-mäßig gespielt wird, sondern auch für Persönlichkeitsförderung und -entfaltung Zeit und Mühe aufgewendet wird. Je mehr jemand in sich selbst gegründet ist (ruht), desto besser kann die Rolle als Top oder Bottom eingenommen werden.

Es ist offensichtlich, dass im Rollenspiel einiges glatter (besser) läuft, weil wir dort von der Breite und Tiefe des Alltags Abstand nehmen und auf eine eingeschränkte und überschaubare Abstraktion reduziert unser Ding machen. Im Mittelpunkt stehen nicht Reden, Therapie oder Sport, sondern Spaß, Geilheit, Sex und Gewalt.

Aus dieser Betrachtungsweise wird auch klar, dass, obwohl ein Rollenspiel zwar wesentlich realer ist als Kopfkino, es beim Spiel als solches dennoch um eine Abstraktion geht. Es fragt sich sogar, ob nicht auch 24/7 Beziehungen als Abstraktion zu sehen wären - wobei allerdings die Grenzen zwischen Alltag und Spiel notwendigerweise viel fließender sind, bis es sich letztendlich so miteinander verwoben hat, dass beide sich darin pudelwohl fühlen.

Allerdings ist es dann auch klar, dass es dann nicht mehr um eine wirkliche Spielbeziehung geht, sondern um eine dauerhafte Partnerschaft. Zwar sind die BDSM-Elemente darin sehr bestimmend, aber auch Sklaven haben Rechte und eigene Bedürfnisse. Es muss gegenseitig großes Vertrauen herrschen, einen Punkt womit viele - verständlicherweise - so ihre Schwierigkeiten haben. Persönlich halte ich eine 24/7 Beziehung ohne wirkliche emotionale Nähe auf Dauer für unmöglich; wer ständig zu größten Zufriedenheit von dem Sklaven bedient wird, kann nicht vermeiden, auf diese Person fixiert zu werden. Es ist die verflixte Spirale von Intimität und Abhängigkeit.

Die wesentliche Gefahr in der Szene ist, dass unreife Menschen sich auf Dinge einlassen, wozu sie - strikt genommen - nicht geeignet sind. Wer nicht unterscheidet zwischen Wirklichkeit und der Abstraktion von Spiel und Kopfkino, wird sein Glück nicht finden. Wer seine Wut nicht kontrollieren kann, sollte keine Peitsche schwingen. Wer sich sofort in jedem Top verknallt, wird Schwierigkeiten haben, wieder sicher zu landen, wenn das Spiel vorbei ist. Dabei sind Wut und Liebe keine falsche Emotionen (die gibt es ja gar nicht). Es sind lediglich Emotionen, die wir aktiv kontrollieren sollten und nicht umgekehrt. Der Gedanke, jemandem komplett und ganz ausgeliefert zu sein, sollte einen fragen lassen, was solche Menschen von sich selbst halten. Wer sich dauerhaft in jemandem auflöst, hört in gewisser Weise auf zu existieren.

Hintergrund vieler solche Phantasien sind die klassischen archetypischen Konzepte der Heiligen Ehe und die Verschmelzung von männlichen und weiblichen Prinzipien in einem androgynen Urwesen. (Die nachzuschlagende Fachbegriffe sind ‚hieros gamos’ sowie ‚Adam Kadmon’.) Unser Leben ist nichts als eine Reflexion auf dasjenige, was schon immer war; ob wir dies jetzt in ein religiöses oder psychologisches Konzept fassen, ist zweitrangig.

Wir sind Menschen und wir streben danach, unser Potential zu entfalten. Für BDSM heißt dies, die Spiele selbst sind nur Erfahrungsmodi. Sich unterzuordnen oder jemanden zu beherrschen, kann zwar für eine gewisse Zeit angebracht sein, aber es wird das Fundament des Selbst als Träger benötigt, um die Erfahrung zu machen, zu integrieren, zu verarbeiten und wiederum zu reflektieren:

1) Ausgehend von Selbstrespekt auf der Grundlage der Gleichheit und Freiheit ist Egoismus neu zu definieren. Egoismus auf der Grundlage eines gesunden Selbstbewusstseins  - wo die eigene Veranlagung und Bedürfnisse als legitim gesehen werden und es selbstverständlich ist, um diese in einer Beziehung auf dem Basis eines gegenseitigen Einvernehmens zu realisieren – ist vom Anfang an nicht auf Selbstbereicherung ausgelegt.

2) Unsere Emotionen gehören uns. Sie sind für uns akzeptabel und nützlich, solange wir auch dafür die Verantwortung übernehmen und uns nicht in der Opferrolle verstecken, wo alle Schuld haben außer wir selbst. Dadurch, dass wir  unsere Gefühle in Besitz nehmen und in uns selbst verwalten, ermächtigen wir uns und können durch unsere Gefühlswelt lernen und wachsen.

3) Indem wir Sexualität für uns  und in uns entfalten, frei von externen Vorschriften, Normalitätsdefinitionen und Bewertungen, werden wir rund und reif.

Dies sind unsere Aufgaben, um unsere Berufung erfüllen zu können. Nur wer besitzt, kann teilen, nur wer hat, kann geben, nur wer weiß, kann verstehen.

Wie immer, habt Spaß und bleibt gesund!

Sir Cameron & Lady Dekaplasia